Wer war Till Eulenspiegel?
Einen Mann hat Deutschland jeder Nation voraus: Till Eulenspiegel
( J. C. L. Haken, 1791)
Alle Hauptspäße des Buches beruhen darauf, dass alle Menschen figürlich sprechen und Eulenspiegel es eigentlich nimmt
(J. W. v. Goethe über Till Eulenspiegel, aus: Reflexionen und Maximen)
Till Eulenspiegel: Ein Bauernsohn?
Der wiedererstandene Eulenspiegel, das ist wunderbare doch seltsame Historien Eulenspiegels, eines Bauern Sohn, gebürtig aus dem Land zu Braunschweig, aus sächsischer Sprache auf gut hochdeutsch verdollmetscht, und jetzt wieder auf Neue mit etlichen Figuren vermehrt und verbessert, sehr kurzweilig zu lesen, samt einer lustigen Zugabe.
(Joseph Görres, 1807)
Viele berühmte Schriftsteller haben sich mit dem Thema Till Eulenspiegel beschäftigt und den bekannten Text nacherzählt oder verändert.
Je nach den Zeitumständen wurde die Figur unterschiedlich interpretiert. Wegen seiner Herkunft sah man in Till Eulenspiegel lange einen aus dem Bauerntum stammenden Menschen, der sowohl an dem auf dem Land lebenden Adel als auch an der städtischen Gesellschaft Kritik geübt hat.
Till Eulenspiegel – Ein Mensch, der alles wörtlich nimmt
„Lieber Hergott, ist daz nit ein groß Wunder? Ich thu alles was man mich heißt, noch kann ich niergen dank verdienen… Ich bin in einer unglückhafften Stunden geboren ...“
Till Eulenspiegel in seiner 64. Historie
Der Inhalt vieler Geschichten aus dem Eulenspiegel – Buch beruht darauf, dass Till Eulenspiegel die Leute beim Wort nimmt. Besonders die Handwerker trifft dieses Verhalten von Till Eulenspiegel. Bekannt ist die Geschichte des Braunschweiger Bäckers, für den Till Eulen und Meerkatzen aus dem Teig gebacken hat.
In Hamburg erregt er den Zorn eines Barbiers, als er dessen Anweisung wörtlich nimmt: „Sieh das Haus gegenüber, wo die hohen Fenster sind, da geh hinein!“ – und Till Eulenspiegel zerbricht geradewegs die geschlossenen Fenster.
Einem Schmiedemeister schmiedete er alle Werkzeuge zusammen, weil er (das Eisen) „für einander“ schmieden soll.
Till Eulenspiegel will damit den Leuten verständlich machen, dass das getreue Kleben am Buchstaben der Gesellschaft schadet und die Menschen stattdessen ihren Geist gebrauchen sollen.
Die Bedeutung der Narrenfigur in der mittelalterlichen Gesellschaft
Die Bedeutung des Wortes „Narr“ hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt.
Nach unserem heutigen Verständnis ist ein Narr ein Spaßmacher, ein Verrückter, den niemand ernst nimmt. Im Mittelalter hatten die Narren aber durchaus eine gesellschaftliche Bedeutung.
Der Narr zählte zum ritterlichen Gesinde, viele Städte hatten eigene Narren, die auf Volks- und Jahresfesten auftraten. Insbesondere zu den Feiern der Fasnacht hielten die Narren mit ihren Insignien, Narrenzepter und Narrenpritsche Gericht über die Mitglieder der mittelalterlichen Gesellschaft.
Sie urteilten über die Torheiten der Menschen mit häufig beißendem Witz. An den adeligen Höfen hatten nur die Hofnarren die Freiheit, am Handeln ihres Herrn Kritik zu üben.
Der Autor des Eulenspiegel – Buches, ein Kritiker des städtischen Mittelstandes
Das Buch von Eulenspiegel entwickelte sich schon in 16. Jahrhundert zu einem frühen Bestseller. Auf Jahrmärkten und Messen wurden die Eulenspiegel – Ausgaben hundertfach verkauft. Die rasche Popularität sorgte bei staatlichen und kirchlichen Stellen aber auch für Missfallen, denn Till Eulenspiegels Spott traf alle Schichten der mittelalterlichen, ständischen Gesellschaft.
Der Papst setzte das Buch von Till Eulenspiegel sogar auf den „Index“, weil es Klerus und Adel verspottete. Druck und Vertrieb wurden von der Inquisition verfolgt. Der Besitz wurde verboten, beschlagnahmte Bücher verbrannt.
Es wundert also nicht, wenn der Verfasser dieses beliebten und verbotenen Buches bemüht war, anonym zu bleiben. Erst nach 1970 konnte die Frage geklärt werden, wer der Verfasser des „Till Eulenspiegel“ gewesen ist. Vermutlich entstand das Buch als Werk des Braunschweiger Zollschreibers Hermann Bote. Um 1463 wurde er als Sohn des Braunschweiger Schmieds Arnt Bote geboren, um 1520 bis 1525 starb er in seiner Heimatstadt Braunschweig. In seiner Funktion als Zollschreiber hatte der städtische Beamte Hermann Bote enge Kontakte zu den Handwerkern in seiner Heimatstadt Braunschweig – und zeigte sich als einer der schärfsten Kritiker dieser Mittelschicht.
Gesellschaftlich betrachtet war die Zeit zwischen dem 13. bis 15. Jahrhundert eine Zeit des Umbruchs. In vielen deutschen Städten lehnte sich die Mittelschicht, zu der hauptsächlich die Handwerker gehörten, gegen das herrschende Patriziat auf.
Als städtischer Beamter vertrat Hermann Bote die Interessen der Kaufleute. Viele Geschichten im Eulenspiegel – Buch handeln deshalb von Handwerkern, die von Till Eulenspiegel hereingelegt und die dadurch auch von Hermann Bote verspottet werden.
Till Eulenspiegel – Ein Volksbuch wird für die Jugend bereinigt
„Von den weltlichen Schriften zur Unterhaltung des Volkes aus jener Zeit, den volkstümlichen Geschichten … ja von den Schwänken und Possen, wie sie von Eulenspiegel ausgegangen und von den Volksschichten erfunden sind, haben wir in neuester Zeit Bearbeitungen für die Jugend erhalten. Die alten Originale dürften wohl niemand empfohlen werden …“.
(A. Merget, Geschichte der deutschen Jugendliteratur, Berlin 1882)
Die meisten Leser kenne Till Eulenspiegels Streiche heute nur aus ihrer Schulzeit. Das Buch von Till Eulenspiegel erlebte, insbesondere nach 1850, einen Wandel vom Erzählstoff für Erwachsene zur Literatur für Kinder.
In den heutigen Schullesebüchern sind nur noch einige wenige Streiche überliefert, beispielsweise die Geschichte von den beiden Honigdieben, die von Till Eulenspiegel zum Narren gehalten werden.
Viele der Eulenspiegelgeschichten galten im 19. Jahrhundert als anrüchig und zu derb und sind deshalb in den Buchausgaben für Kinder weggelassen worden. In den verschiedenen Fassungen für Kinder und Jugendliche (im deutschsprachigen Raum erschienen in den letzten 100 Jahren mehr als 70 Bearbeitungen) wurde Till Eulenspiegel als Kinderfreund und harmloser, lustiger Geselle charakterisiert.
Der satirisch – gesellschaftskritische Charakter des ursprünglichen Buches teilt sich in diesen Bearbeitungen häufig nicht mehr mit. Till Eulenspiegel macht seine Späße scheinbar nur noch zur eigenen Belustigung und zur reinen Unterhaltung seines Publikums.